Eine Kahnfahrt wie in Venedig durch einen Fluss-Seitenarm wie am Amazonas. Eine Reise in die Natur mit immer anderen Blickwinkeln.
Der Taubergießen wird von zahlreichen Flussarmen durchzogen und ist einer der letzten naturbelassenen und weitgehend erhalten gebliebenen Auwaldgebiete am Europapark Rust in Baden-Württemberg. Dazu gehören auch noch die Elzwiesen der Blinden Elz mit ihrer Artenvielfalt, in denen auch noch seltene Orchideen wachsen. Deshalb wird der Taubergießen auch gerne als „Amazonas am Oberrhein“ bezeichnet. Den Namen „Taubergießen“ hat diese Landschaft von den zeitweise starken Grundwasseraustritten / Quellen, den „Gießen“. „Taub” geht auf eine alte Bezeichnung von Fischern für ein nähr- und sauerstoffarmes Gewässer zurück. Das Naturschutzgebiet, das im Süden mit Rheinhausen beginnt und im Norden bis Wittenweier geht, wurde 1955 unter Landschaftsschutz gestellt und 1979 als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Es handelt sich dabei um das alte Rheinflussbett, wie es vor seiner Begradigung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aussah. Von der Vogelperspektive aus betrachtet, zieht sich der Taubergießen wie ein Schlauch 12 Kilometer am Oberrhein entlang. Die breiteste Stelle beträgt ca. 2,5 Kilometer. Es umfasst auf einer Fläche von ca. 1800 Hektar die rheinnahen Gemeinden Rheinhausen, Rust, Kappel, Wittenweier und die französische Gemeinde Rhinau. Aus historischen Gründen befinden sich 997 Hektar im Besitz der französischen Gemeinde Rhinau, jedoch unterliegt dieser Teil dem deutschen Fischereirecht sowie Jagd- und Naturschutz. Ein Bereich des Auwaldes wurde als Bannwald ausgewiesen, in diesem Bereich entwickelt sich ohne menschliche Ordnung wieder ein heimischer Urwald. Der Rest ist ein Schonwaldgebiet mit wirtschaftlicher Nutzung.
Mein ortskundiger Reisebegleiter war der Fischermeister Felix Sigg. Seit mehr als nun 45 Jahren Fischer und Stocherkahnfahrer in diesem Naturparadies. Felix Sigg ist einer der letzten beiden Fischermeister von Rust. Ein Fischer mit Leib und Seele mit großer Leidenschaft für die Natur. Sowohl die Fischerei als auch die Kahnfahrten haben in seiner Familie eine lange Tradition. Urgroßvater, Opa und Vater waren schon Fischermeister mit eigenem Pachtwasser am Rhein. Erst arbeitete er im landwirtschaftlichen Betrieb (Gurken und Tabakanbau) seiner Eltern bevor er 1972 als Fischergehilfe tätig wurde. Er ist dort geboren und tief verbunden mit dieser einzigartigen Rheinlandschaft und würde mit keinem anderen Ort tauschen wollen. Am Abend vor meiner Anreise hatte er seine Netze in den Altrheinarmen ausgelegt, damit er am nächsten Morgen mit mir seinen Fang einholen konnte. Barsche, Brassen, Rotfedern, Schleie, Zander und verschiedene Weißfische gingen in die Netze mit verschiedenen Maschenweiten. Kamberkrebse wurden wieder in das Wasser zurück geworfen. Viele Erklärungen und Aussagen bekam ich dabei von ihm zu hören:
„Früher haben wir viel mehr Fische gefangen als heute. Das größte Problem ist der Kormoran und der Wels. Beide fressen sehr viele Fische weg und der Wels kann sogar junge Enten und Schwäne schnappen. Unser Brotfisch und Hauptfang war der Aal, damit konnten wir große Fangquoten und Gewinne erzielen. Leider ist die Aalfischerei jetzt verboten. Heute weiß man nie, wie viel man fängt. Es können 60 kg sein oder auch einmal nichts, davon alleine kann man nicht mehr seinen Lebensunterhalt bestreiten. Aber mich freut es immer wieder und ich bin glücklich, wenn es ein bisschen im Netz zappelt“.
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war die Gemeinde Rust ein Fischer- und Bauerndorf. Die Lage am Rhein und die fruchtbaren Schwemmlandböden boten den Fischern und Landwirten eine gute Existenzgrundlage. Die Fischer gründeten die Fischerzunft 1583 Rust, um sich die Fischrechte in Rust und Umgebung zu sichern. Nur die Söhne eines Mitgliedes werden im Alter von 21 Jahren in die Zunft aufgenommen und das Fischrecht wird nur vom Vater an den männlichen Nachkommen weitervererbt. Durch diese Regelung bleibt das Fischrecht im Besitz weniger Familien im Taubergießen – so auch bei der Familie von Felix Sigg.
Felix Sigg rudert mich mittags mit seinem Stocherkahnboot durch das Naturschutzgebiet Taubergießen! Zwei Stunden Ruhe genießen in einer außergewöhnlichen Natur und es gibt noch viele Beschreibungen, Erklärungen und Witzle von ihm dazu. Über die Fischerei, die bewegte Geschichte an der Grenze von Deutschland und Frankreich und sein Wissen über die Natur. Er erzählt mir dabei auch, dass manche Gäste die völlige Ruhe bevorzugen und keine Erklärungen wünschen. Das kann ich gut verstehen – in der Ruhe liegt die Kraft und das Entschleunigen vom Alltagstrott. Schweben über dem Wasser und dabei auch einmal die Augen schließen und dem Rauschen des Wassers und den Geräuschen der Tierwelt zuhören. Der langsam dahin fließende Fluss, das klare Wasser, die vielen Pflanzen wie der Flutende Wasserhahnenfuß oder die geschmacklich sehr starke Brunnenkresse, sowie farbenprächtige Libellen und Schwäne begleiten uns. Mächtige Bäume mit Lianengirlanden wie Eichen, Silberpappeln, Silberweiden und Ulmen wachsen am Flussbett und bilden schöne Baumgalerien. Mit Glück kann man den Eisvogel sehen, aber sicherlich die verschiedenen Entenarten, Kormorane, Graugänse, Nilgänse, Graureiher, Silberreiher, Seidenreiher und Bisamratten. Für viele Vögel ist das Gebiet Winterquartier, aber auch Rastplatz für durchziehende Zugvögel. Alles in Allem ein traumhafter Abstecher in eine andere Welt, begleitet von einem Fischer mit Leidenschaft, in einer magischen Auenlandschaft im Paradies Taubergießen.
Durch den Europapark hat sich mittlerweile die ganze Gemeindestruktur von Rust und das soziale Leben hier verändert. Mehr als 5,5 Millionen Besucher pro Jahr, damit verbunden Staus und Luftverschmutzung. Den ca. 4200 Einwohnern stehen mehr als 4500 Gästebetten entgegen. Es gibt kaum noch bezahlbare Mietwohnungen, dafür mehr lohnende Ferienwohnungen. Das fördert zwar die Steuereinnahmen der Gemeinde und im Ort wird viel investiert, aber das soziale Miteinander geht verloren. Die Gaststätten öffnen nur noch nach 17 Uhr, dann kommen die vielen Besucher aus dem Park und manche frequentieren dann die ansässigen Gaststätten. Mittagessen, Kaffee und Stammtische gehen der Dorfgemeinschaft aber verloren.
INFO:
Vorsicht besteht bei den angegebenen Rundwanderwegen. Manche Brücken existieren nicht mehr oder sind beschädigt und man steht plötzlich am Wasser ohne einer Möglichkeit der Überquerung. Das hat wohl schon bei einigen Wanderern dazu geführt, dass sie sich total verlaufen haben und Hilfe brauchten.
Familie Sigg bietet Stocherkahnfahrten ab der Zuckerbrücke bei Rust bis zur Gifizbrücke bei Kappel für max. 10 Personen im Boot an ( ca. 2 Stunden ). Da der Taubergießen nur stromabwärts befahren werden darf, besteht die Möglichkeit zur Mitnahme bei der Rückfahrt für max. 2 Personen. www.taubergiessenfahrten-felix-sigg.de
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